Al Toon

...die andere Seite des Spiels

September 2002. Der ehemalige NFL Guard der Steelers und Chiefs Michael Webster stirbt an einem Herzinfarkt. Webster, 4-facher Superbowl Champion und Mitglied sowohl des NFL 1970s, als auch des NFL 1980s All-Decade Team starb allerdings nicht in einer großen Superstar-Villa. Zum Zeitpunkt seines Todes lebte er bei seinem Sohn, der ihn bei sich aufgenommen hatte, nachdem Webster Jahrelang verschuldet in seinem Auto lebte. Ursächlich hierfür waren Depressionen und eine Demenz, an denen er nach seiner Karriere erkrankte. Zum Zeitpunkt seines Todes war Webster 50 Jahre alt.

September 2004. Justin Strzelczyk – ehemaliger OT der Steelers – fährt betrunken und vor der Polizei flüchtend mit seinem Wagen in den Gegenverkehr. Es kommt zum Zusammenstoß mit einem Tanklaster. Strzelczyk stirbt mit 36 Jahren.

Juni 2005. Der ehemalige Steelers Guard Terry Long begeht Selbstmord, indem er eine Gallone (ca. 3,8 Liter) Frostschutzmittel trinkt. Long wurde 45 Jahre alt.
Es gäbe noch einige weitere Beispiele für NFL-Spieler, die viel zu früh verstarben. Was sie gemeinsam hatten? Alle litten unter CTE (Chronisch-traumatische Enzephalopathie). Eine Krankheit, die durch häufige, nicht auskurierte Gehirnerschütterungen entsteht oder begünstigt wird.

Warum ich euch das erzähle? Weil eine überraschende, schwierige und weitsichtige Entscheidung Al Toons vermutlich verhinderte, dass wir heute seinen Namen in dieser Liste lesen müssen.

November 1992. Eine Nachricht erschüttert die NFL-Welt. Al Toon, First Receiver der New York Jets und einer der besten der gesamten Liga gibt seinen Rücktritt bekannt. Im Alter von 29 Jahren! Er befindet sich damit eigentlich noch in der Prime seiner Karriere und ist zum Zeitpunkt seines Rücktritts bereits auf Rang 2 der All-Time-Receiving-Yards-Liste der Jets. Der Aufschrei innerhalb der NFL ist groß. Warum tritt ein so talentierter so früh zurück? Aus heutiger Sicht ist die Antwort simpel und logisch. Der Grund war der Schutz seiner Gesundheit, denn Al Toon hatte sich grade erst von seiner 9. diagnostizierten Gehirnerschütterung erholt, und hatte vermutlich da schon mit den Folgen zu kämpfen. Denn damals waren die Spätfolgen solcher Verletzungen quasi unerforscht. Aus diesem Grund stieß die Entscheidung Toons auch nicht nur auf verständnisvolle Gesichter. Im Nachhinein sollte sich das frühe Ende der Karriere aber als absolut richtig erweisen. Eine Karriere, die trotz ihrer „Kurzlebigkeit“ in der Nachbetrachtung sehr erfolgreich gewesen ist

Al Toons Karriere bei den Jets beginnt im NFL Draft 1985, bei dem er an 10. Stelle ausgewählt wurde. Die Verantwortlichen der Jets haben dabei gute Scouting-Arbeit geleistet, denn sie erhalten einen Überathleten. Während seiner Zeit an der University of Wisconsin-Madison spielte Al Toon, welcher am 30. April 1963 in Newport News, Virginia, geboren wurde, nicht nur Football. Er war auch einer der erfolgreichsten Leichtathleten seiner Universität, hielt unter anderem den Dreisprungrekord und qualifizierte sich 1983 für die Ausscheidungskämpfe der olympischen Spiele in den Disziplinen Dreisprung und 110 Meter Hürden. Nebenbei sammelte Toon über seine drei Jahre im Football-Team noch 131 Receptions für 2103 Yards und 19 Touchdowns. Alles damalige Rekorde für seine University.

Am Talent Toons bestand somit nie ein Zweifel, die einzige Frage war vor seiner ersten Saison, ab wann er dies auch bei den Profis abrufen kann. Zum Glück der Jets war dies bereits in der ersten Saison der Fall, in der Toon sich zum legitimen WR2 der Jets mauserte und für einen Rookie sehr beachtliche 662 Receiving Yards und 3 Touchdowns erreichte. In der nächsten Saison explodierte Toon förmlich, fing 8 Touchdowns und sammelte fantastische 1176 Yards. Folgerichtig wurde er in dieser Saison auch zum AFC-Player of the Year gewählt. Besonders zwei Spiele aus dieser Saison sind hervorzuheben. Zum Einen der 8. Spieltag gegen die Saints, in dem er 6 Bälle für 3 Touchdowns fing. Zum Anderen das direkt darauf folgende Spiel gegen Seattle, in dem er zwar „nur“ zwei Touchdowns in seinen Statistikbogen eintragen konnte, diesen jedoch auch 195 Yards hinzufügte. Aufgrund der oben angesprochenen Gehirnerschütterungen konnte Toon nach 86 nur in zwei Saisons mehr als 12 Starts verbuchen, wodurch seine Statistiken natürlich gedrückt wurden.

Eine der beiden ist die Saison ´88 gewesen. Und diese sollte eine ganz besondere werden. In sage und schreibe 3 Spielen dieser Spielzeit sammelte Toon eine zweistellige Anzahl an Receptions. Der Höhepunkt war dabei der zwölfte Spieltag gegen Miami, in dem er 14 Bälle fing, jedoch keinen Touchdown erzielte. Am Ende der Saison sollte Toon mit 93 Receptions sowohl die Liga anführen, als auch einen Jets Rekord aufstellen, welcher erst im Dezember 2015 durch Brandon Marshall gebrochen werden sollte.

Al Toon ist über seine gesamte Karriere eine Receptions-Maschine gewesen. So ist er einer von nur zwei Spielern in der Geschichte der NFL, welcher in weniger als 110 Spielen über 500 Receptions erreichen konnte. Der andere ist HoF Kellen Winslow. So stark Toon im Receiving Spiel auch war, ein richtiges Endzonenmonster ist er nie gewesen. Über seine gesamte Karriere konnte er „nur“ 31 Touchdowns fangen. Dies mag unter anderem daran liegen, dass Toon Raum brauchte, um seine Athletik voll ausspielen zu können. Etwas, dass in der Redzone immer weniger vorhanden ist. Repräsentativ hierfür steht die Saison 1991, in der Toon seinen Statistikbogen zwar 74 Receptions und 963 Yards füllen konnte, aber nicht einen einzigen Score verbuchen konnte.

Dennoch trat Toon als einer der besten Receiver und Spieler der Jets aller Zeiten ab, und auch seine persönlichen Auszeichnungen können sich sehen lassen:

3 Mal Pro Bowl
3 Mal All Pro
AFC Player of the Year (86)
NFL Reception Leader (88)
New York Jets Ring of Honor
New York Jets All-Time Four Decade Team

Nach seiner Footballkarriere war Toon vor allem als Geschäftsmann tätig. So war er Gründungsmitglied der Capitolbank, in deren Verwaltungsrat er auch heute noch tätig ist. Außerdem entwickelte er ein eigenes Immobilienportfolio und wurde Franchisenehmer sowohl bei Taco Bell als auch vom Hilton Garden. Angesprochen auf die größer werdende CTE-Problematik sagte Toon in einem Interview, dass er noch heute an den Folgen der Gehirnerschütterungen leide und es nicht immer leicht wäre, seine Familie ihm immer halt gibt, er aber nicht weiter ins Detail gehen möchte. Al ist mit seiner Frau Jane verheiratet und beide haben vier gemeinsame Kinder – drei Töchter und einen Sohn. Im Hinblick auf die angestrebte Footballprofikarriere Nick Toons sagte Al als Vater, dass er glaube, dass die Liga die Spieler heutzutage besser schütze, er dennoch hoffe dass Nick von schwereren Verletzungen verschont bleibe. Nick Toon wurde 2012 in der vierten Runde gedraftet, konnte sich jedoch nie in der Liga etablieren. Die drei Töchter Toons waren talentierte Volleyballspielerinnen, sind jedoch auch keine Profis geworden.

Schlussendlich muss man Al Toon zwar zu einer großartigen Karriere gratulieren, allerdings – so finde ich – noch mehr zu seiner sehr mutigen Entscheidung, im richtigen und vielleicht auch entscheidendem Moment die Reißleine zu ziehen, was bestimmt alles andere als leicht für Al gewesen ist. Häufig ist es nämlich das Schwierigste, das Ende der Karriere zu erkennen und zu akzeptieren, vor allem wenn niemand anderes damit rechnet. Hiermit hat Al Toon noch einmal bewiesen, dass er ein echter Titan of New York ist – sowohl auf, als auch neben dem Platz. Für die Zukunft wünsche ich Al und seiner Familie alles Gute, vor allem aber Gesundheit, damit er sein Leben – und hoffentlich den ein oder anderen tiefen Playoff-Run der Jets – voll und ganz genießen kann.

Felix