von Klaus Schneider

Ich habe die letzten Wochen lange mit mir gekämpft, was meine Einstellung zur Quarterback Position betrifft. Genauso wie die meisten von euch bin auch ich glühender Darnold Fan. Als er gedraftet wurde, war ich überzeugt, dass die dunklen Zeiten endlich vorbei sind. Ein Trikot mit der Nr. 14 hängt seitdem bei mir im Schrank. Mein Sohn wurde im selben Jahr geboren als Sam gedraftet wurde und sein zweiter Name ist treffenderweise Samuel. Den Namen hatten wir natürlich unabhängig von Darnold gewählt, lange bevor er gedraftet wurde. Aber ich hatte dennoch die Hoffnung, meinem Sohn einmal erzählen zu können, er trägt denselben Namen wie der HOF Quarterback der New York Jets. Ich kann euch also versichern, dass es mir alles andere als leicht fällt, Zeilen wie die im Titel dieses Artikels zu schreiben. Und dennoch bin ich überzeugt, dass es der einzige Weg aus der Misere ist und ich möchte euch erklären, warum ich so denke.
 
Die Jets als Franchise liegen am Boden. Die Playoffs wurden nun schon seit zehn Jahren nicht mehr erreicht, die Personalentscheidungen der letzten Jahre waren haarsträubend und die Außendarstellung eine einzige Katastrophe. Ein „weiter so“ darf es nicht geben – das Team, der Coaching Staff und die Organisation müssen grundlegend verändert werden. Ansonsten wird es Douglas nie gelingen, aus der Lachnummer der Liga wieder ein respektables Team zu machen, das von Coaches, Spielern, Fans und Medien gleichermaßen geachtet wird.
 
Was hat das mit Sam zu tun, der für die Misere eigentlich am wenigsten kann?
Das Leben ist ungerecht. Und das Leben in der NFL schon gleich zweimal. Es passiert immer wieder, dass vielversprechende Talente vom Verletzungspech verfolgt werden oder schlicht ins falsche Team gedraftet werden und ihre Karriere somit ganz anders verläuft, als sie mit etwas mehr Glück hätte verlaufen können. Posterboys für solch ungerechte Karriereverläufe waren in der Zeit, als ich NFL-Fan wurde, Joey Harrington von den Lions und David Carr von den Texans. Leider scheint auch Sam dieses Schicksal ereilt zu haben. Miserables Management, unterirdisches Coaching und fragwürdige Kaderzusammenstellungen haben letztendlich, zusammen mit seinem Verletzungspech, dafür gesorgt, dass seine vielversprechende Entwicklung jäh gestoppt wurde. Am Ende dieser Saison wird er ein verletzungsanfälliger 3-year Veteran sein, der noch ein Jahr Vertrag hat und bisher, außer einigen Highlights, eine sehr durchwachsene Erfolgsbilanz vorzuweisen hat. Egal, wie ungerecht und einseitig dieses Urteil ist – es sind die Fakten und es wird wohl kaum einen Top Head Coach oder Top Free Agent hinterm Ofen hervorlocken.
 
Als Jets Fans haben wir uns lange mit 8-8 Seasons oder den ein oder anderen, vielversprechenden Ansätzen zufriedengegeben. Doch das muss ein Ende haben. Die alles entscheidende Frage muss doch sein:
Wie kann es den Jets gelingen, möglichst zeitnah in der Lage zu sein, einen Super Bowl zu gewinnen?
Egal, wie weit weg dieses Szenario auch sein mag, aber nur das darf doch der Maßstab sein, an dem sich Personalentscheidungen langfristig messen lassen müssen?
 
Die Erfahrung zeigt, dass es im Wesentlichen zwei Wege gibt, einen Super Bowl zu gewinnen – mit einem Top-5 QB und einem Supporting Cast, der gut genug ist, um sich nicht selbst ins Bein zu schießen (Brady/Manning/Rodgers oder neuerdings Mahomes), oder aber mit einem durchschnittlichen QB, der von einem hervorragenden Roster getragen wird (Philly 2018, Baltimore 2001 und 2013 etc.). Letzteres ist deutlich schwieriger zu erreichen und noch viel schwieriger, langfristig umzusetzen. Die Chancen, dauerhaft um den Super Bowl spielen zu können, sind mit einem Top-5 QB mit Abstand am größten.
 
Dies bringt uns zum springenden Punkt: Mit Trevor Lawrence steht den Jets eines der größten QB Talente der letzten Jahre in Aussicht. Bei wem ist die Wahrscheinlichkeit, sich zu einem Top-5 QB zu entwickeln, am größten – Lawrence oder Darnold? So sehr ich Darnold mag und so sehr ich überzeugt bin, dass er sich unter einem kompetenten Coach zu einem überdurchschnittlichen QB entwickeln würde, so müssen wir doch realistisch genug sein um zu erkennen, dass er sich nach drei Jahren unterdurchschnittlicher Leistungen nicht plötzlich in einen Elite QB verwandeln wird. Vergleichbare Beispiele sind in der NFL extrem rar gesät – mir fällt hier in neuerer Zeit eigentlich nur Drew Brees ein, der so spät in seiner Karriere einen derartigen Sprung hingelegt hat. Ryan Tannehill könnte dies auch gelingen, aber ob er nicht einfach nur von einem starken Titans-Kader profitiert (also in Kategorie 2 fällt), wird sich noch herausstellen.
 
Trevor Lawrence bietet den Jets die größte Chance, innerhalb kurzer Zeit vom Kellerkind zu einem ernstzunehmenden Super Bowl Aspiranten aufzusteigen. Er hat nicht nur mehr Talent – er wird es Douglas deutlich einfacher machen, einen Top Coach und Top Free Agents anzuziehen und wird darüber hinaus die nächsten 4-5 Jahre zu einem sehr erschwinglichen Cap Hit spielen. Insbesondere die Aussicht auf einen Top-Coach ist wohl der wichtigste Aspekt, den Douglas in dieser Offseason berücksichtigen muss. Außerdem könnte Darnold für einen Draftpick getradet werden, mit dem weiter um Lawrence herumgebaut werden könnte. Natürlich besteht auch bei ihm das Risiko, dass er zu einem Bust wird – aber nochmal sollten die Jets den Fehler, den sie 2017 begangen haben (Mahomes/Watson), nicht machen.
Mit Darnold habe ich die Befürchtung, dass die Jets selbst im Best-Case in die Falle tappen werden, in der sich beispielsweise die Lions oder die Raiders befinden. Matthew Stafford bzw. Derek Carr sind überdurchschnittlich gute QBs mit hoch dotierten Verträgen. Sie sind zwar zu gut, um ersetzt werden zu müssen, aber eben auch nicht „Elite“ genug, um die Schwächen ihrer Roster auszumerzen. Ihr Cap Hit führt darüber hinaus dazu, dass die Teams nur schwer um sie herum bauen können. Die Lions und Raiders sind somit gefangen in einer Dauerschleife irgendwo zwischen 6-10 bis 9-7 Seasons, aus der sie nur ausbrechen können, in dem sie volles Risiko gehen und alles auf den Kopf stellen.
 
Sollten die Jets den 1. Pick 2021 sichern können, bietet ihnen Lawrence die einmalige Möglichkeit, sich langfristig für einen Super-Bowl-Run aufzustellen – und gibt Darnold die verdiente Möglichkeit, sich abseits des vergifteten Umfelds der Jets zu dem Spieler zu entwickeln, zu dem er fähig ist. So schwer es einem echten Fan fällt, auf Niederlagen zu hoffen, so ist der 1. Pick das einzige Szenario, das diese Saison zu einem glücklichen Ende bringen kann.

Klaus Schneider